Täglich begegnen uns Menschen, die uns den nächsten Crash, das sichere Ende des Euro, die Megatrends der Zukunft, den Absturz Europas oder wie wir in Zukunft leben werden voraussagen. Nur allzu gerne lassen wir uns von Zukunftsprognosen der Experten in den Bann ziehen. Fast jeder von uns möchte gerne wissen, was morgen passiert: Wir suchen Orientierung, Kontrolle und Sicherheit für unser Leben, für die Angst vor dem Ungewissen. Wir wollen cleverer als andere Chancen nutzen, dabei aber möglichst wenig Risiko eingehen. Deshalb lieben die Menschen Prognosen – und das, obwohl niemand wirklich eine Ahnung hat, wohin die Reise geht! Selbst die Experten nicht!
Es ist niemand wirklich in der Lage vorherzusehen, wie sich der Dax in den kommenden Stunden oder in einem Monat entwickeln wird, ob der Brexit uns wirklich schadet, welche Auswirkungen die Konflikte zwischen den Weltmächten auf unsere Wirtschaft in Europa haben oder ob Öl langfristig eher billiger oder teurer wird, wann und ob die Zinsen wieder steigen. Beispiel gefällig?
Das nachstehende Beispiel ist nun schon ein wenig her, zeigt aber sehr eindrücklich, was von Prognosen im allgemeinen zu halten ist: Im Februar 2017 lehnte sich die Deutsche Bank in ganzseitigen Anzeigen ziemlich weit aus dem Fenster: Das Kreditinstitut wagte Zukunftsprognosen für die wichtigsten volkswirtschaftlichen Kennzahlen und lag damit kräftig daneben – obwohl der Vorhersagezeitraum gerade einmal 10 Monate betrug. Beim Wirtschaftswachstum gab es eine satte Abweichung von sagenhaften 100 % (!). Auch bei der Prognose vom Wechselkurs des US-Dollar sowie der Verzinsung von 10-jährigen Staatsanleihen lagen die Abweichungen bei fetten 26 % bzw. 30 %. Die Prognosen im Detail:
Interessanterweise lag die Deutsche Bank bei den spekulativsten Prognosen (Dax, Gold) am dichtesten dran. Dafür gab es bei den vermeintlich größten Kompetenzen einer Bank die größten Abweichungen.
Die Auswertung ist nicht als Bashing gegenüber der Deutschen Bank zu verstehen; es soll lediglich aufzeigen, wie sehr anerkannte Experten, die sich tagtäglich und ausschließlich mit ‚ihrem‘ Thema beschäftigen, komplett danebenliegen können. Und wie viel eine Prognose wirklich wert ist.
Die obigen Fakten, die ich recherchiert habe, kannst Du nochmals nachlesen im Jahresausblick 2017 der Deutschen Bank und in der nachstehenden Anzeige der Deutschen Bank, die ich im Februar 2017 aus dem SPIEGEL ausgeschnitten habe. https://www.deutsche-bank.de/pfb/content/jahresausblick-2017_meine-10-prognosen-fr-das-jahr-2017.html
Interessanterweise ist das Kreditinstitut seither nie mehr so offensiv in der Werbung nach vorne geprescht wie damals. Warum wohl?
Diesem Phänomen widmete sich der kanadische Psychologe Philipp Tetlock. Der Hochschulprofessor untersuchte über zwei Jahrzehnte lang die Verlässlichkeit von Zukunftsprognosen und veröffentlichte in seinem 2005 erschienenen Buch „Expert Political Judgment“ die ernüchternden Ergebnisse seiner Studie: In den 80ern bat er 284 renommierte Experten aus unterschiedlichsten Fachgebieten, Einschätzungen über die Zukunft abzugeben. Fragestellungen waren unter anderem: Wie sieht die Welt in 20 Jahren aus? Wie entwickelt sich die Bevölkerung? Wird es mehr oder weniger Kriege geben? Gehen die Rohstoffe zur Neige? etc. Insgesamt erhielt er bis 2003 über 80.000 detaillierte Einschätzungen zu Ereignissen und Entwicklungen in der Zukunft.
Die Vorhersagen wurden mit der Realität sowie mit mehreren anderen Vorhersagen von einfachen statistischen Modellen, uninformierten und informierten Laien verglichen. Das niederschmetternde Ergebnis: Die Experten lagen zumeist falsch und schnitten kaum besser ab als informierte Laien oder die einfache Statistik. Bemerkenswert ist auch dieses Ergebnis: Je spezialisierter ein Experte in seinem Fach, desto schlechter war seine Prognose. Und je höher die Aufmerksamkeit und Präsenz in den Medien war, desto höher wurde die Kompetenz des Experten eingestuft – ohne dass dieser bessere Prognosen stellte.
Als Tetlock die Experten mit ihren zahlreichen Prognosen konfrontierte, eierten die meisten von ihnen herum und sagten sinngemäß: „Na ja, eigentlich haben wir ja tendenziell schon richtiggelegen. Aber: Gerade, weil wir vor bestimmten Dingen gewarnt haben, sind sie eben nicht eingetreten.“
Wie man sieht, ist es für viele Experten schwer zu akzeptieren, dass man im Grunde genommen keine Ahnung hat. „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ ist seit der Antike ein geflügeltes Wort und gilt heute mehr denn je! Doch warum irren Experten? Immerhin können Sie auf bestimmten Gebieten zweifellos mehr als Laien. Ganz einfach: Sie scheitern, weil die Welt mittlerweile viel zu komplex ist, um sie als Ganzes zu erfassen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse und Technologien verdoppeln sich – je nach Fachgebiet – alle 10 bis 20 Jahre. Und genau diese Dynamik macht es unmöglich, die Zukunft konkret vorherzusagen. Die Welt verhält sich nicht linear. Somit ist es schlichtweg unmöglich, Unvorhersehbares vorherzusehen. Und genau deswegen erscheinen uns rückblickend die allermeisten Zukunftsprognosen ziemlich absurd.
Eigentlich müsste die Vielzahl der Fehlprognosen bei den Verbrauchern zu Verdruss und zu einem beträchtlichen Imageschaden für den jeweiligen Experten führen. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall: Die Nachfrage nach Prognosen steigt! Einfache Wahrheiten sind heute mehr denn je gefragt: Wir sehnen uns nach Lösungen, die wir begreifen, und nach Menschen, die uns die komplexe Welt in wenigen Worten erklären können. Leider können wir selbst die allermeisten Prognosen aufgrund gerade dieser Komplexität rückwirkend nicht auf ihre Zuverlässigkeit beurteilen. Und somit müssen wir uns wohl damit abfinden, dass in den einschlägigen Talkshows (oder anderen Medien) immer wieder die gleichen (vermeintlichen) Experten auftreten und ihre Prognosen eloquent und überzeugend zum besten geben – getreu dem Motto: 3x behauptet = 1x bewiesen!
Ich bin jedenfalls mittlerweile ziemlich skeptisch und kritisch. Und das empfehle ich Dir ebenfalls zu sein, insbesondere wenn Du Prognosen für deine Entscheidungen heranziehst z.B. bei Geldanlagen oder anderen Investitionen.
"Ein Experte ist ein Mann, der hinterher genau erklären kann, warum seine Prognose nicht gestimmt hat."